Poetryslam von Mitsch

Lila

*Original Version Deutsch

Es ist Sommer
Unbeschwertheit liegt in der Luft
Barfuß rennt Lila über die Wiese
umgeben von bunten Blumen
eingehüllt in ihren Duft
sie spielt fangen
ihr Kleid flattert im Wind
klettert auf Bäume
baut Burgen aus Sand
sorglos tänzelt sie durch das Leben
sie ist noch Kind

als Kind
erscheint es noch so leicht
spielt sie mal mit Puppen
mal Fußball
mal fangen im Kreis
baut Burgen
in denen Prinzessinnen mit Drachen wohnen
malt über Ränder
ist mehr Kind als Gender
nutz das kunterbunte Spektrum
nicht eingeteilt
nach rosa und blau

doch irgendwas
ist jetzt anders
ohne Vorwarnung
durchzieht es ihren Körper
hört sie von außen so viele bewertende Wörter
ihr Kleid
darf nun nicht mehr tanzen im Wind
denn diese Freiheit gehöre sich nicht für ein Mädchen

ist sie doch jetzt nicht mehr Kind

Beine gehören
nun geschlossen
das Lächeln
wie einem edlen Clown ins Gesicht gemalt
brav sein
lieb sein
ihre Losgelöstheit ist der Preis
mit dem sie nun bezahlt

ihr Körper
nicht mehr ihrer
wird genommen
und bewertet
ihre Haare
ab jetzt eine Ursache ihrer Scham
egal ob im Gesicht
Arm Intimbereich oder Bein
gehört sich auf einmal als Mädchen nicht
ihre Menstruation
nun ebenso tabuisiert
ist zwar naturgegeben
auch wenn es Mann nicht interessiert
doch auch hier
wird ihre Scham wieder genährt
auferlegt von außen
obwohl es ist eine Sache
die jeder Frau widerfährt

Lila spürt schnell
dass der Druck
sie in eine Rolle zwängt
ist sie sie selbst
fühlt sie sich eingeengt
dann ist sie zu laut
ist sie zu viel
zeigt zu viel Haut
im nächsten Moment
dann doch zu still
schüchtern zu langweilig
wütend zu männlich
stets bewertet von außen
all das macht sie unkenntlich

durchsichtige Fesseln
legen sich um ihren Geist
sich den Anforderungen anzupassen
ist worum ihr Gedanke kreist
sie soll schön sein
aber nicht zu sehr
soll begehrt werden
aber niemandem die Chance geben auf mehr
ihr Wert
geht damit Hand in Hand
wird sie schwach
wird ihre Reinheit aberkannt

eigentlich noch Mädchen
doch bereits von gierigen Augen als Frau betrachtet
gierige Augen welche sie so sehr verachtet
geht sie durch die Straßen
rufen ihr Männer hinterher
„Ey Puppe, geht heute Abend
zwischen uns auch mehr?“
ihr Körper
ständig kommentiert
Lila fühlt Schuld
fühlt sich sehr frustriert
ihr Lieblingskleid
hängt nun im Schrank
denn ständig kommentiert zu werden
das macht sie innerlich krank

Lila wird zur Frau
ihr Korsett immer enger
im Alltag eingeschränkt
von übergriffigen Männern
in der Arbeit
ist Sexismus auf der Alltagsagenda
und spricht sie Diskriminierung an
sagen sie
es läge nicht am Gender
eine Frau in der Führungsposition
möchte aber trotzdem kein Mann sehen
was ist mit den Frauen heutzutage nur
kommen auf obszöne Ideen

Lila versteht nicht
weshalb selbe Arbeit nicht mit selber Bezahlung entlohnt wird
und wenn sie sich beklagt
belächelt Mann sie irritiert
doch zuhause
soll Lila sich um alles sorgen
putzen einkaufen und planen für morgen

Care Arbeit
ist nämlich was Frau hat zu tun
der Mann hat dafür keine Zeit
er muss arbeiten für seinen Ruhm
Frau hat Mann den Rücken zu stärken
Mentaler Overload
denn Frau hat zu bewerken
dass dies
zu Abhängigkeit und Armut für Frauen führen kann
auch das ist nichts
was interessiert den Mann


und der Druck steigt
Lila kann ihn kaum stemmen
als würde sie zwischen Schuld und Scham festklemmen
möchte nur atmen
möchte nur leben
möchte frei sein
möchte auch mal nehmen
statt nur zu geben
möchte sein
möchte fühlen
möchte schreien
möchte aufhören zu grübeln
möchte sprengen das weibliche Korsett
möchte ausbrechen
und statt nur auf das außen zu reagieren
wieder als Subjekt
selbst in der Welt agieren

und Lila ist so wie wir
wir alle gemeinsam
ob Frau, Divers oder Queer
Lila ist eine von vielen
welcher es so ergeht
jede Frau durchläuft
ihren eigenen steinigen Weg

Alltag heißt für Frau
sexualisiert zu werden
heißt für viele Angst
für manche
Unterdrückung
heißt solange durchhalten
wie du eben kannst
heißt
dass der eigene Partner
deine größte Gefahr sein
kann
heißt Angst haben zu müssen
vor dem eigenen Mann
heißt Femizide
heißt Suizide
heißt
dass der eigenen Stimme
ihre Macht genommen wird
heißt deine Kleidung ist
schuld
du hast den Mann eben verwirrt

seit 1911
kämpfen wir auf den Straßen
kämpfen für das Recht zu
wählen
für gleichen Lohn für gleiche Arbeit
kämpfen für Unabhängigkeit
für ein Konto für unser eigenes Geld
wir sind eigene Menschen
Freiwilligkeit soll es sein
die uns bei einem Manne hält

Wir kämpfen dafür
dass wir selbst entscheiden
was mit unserem Körper
geschieht
wer ihn außer uns auszieht
ob wir Kinder kriegen oder
nicht
mein Körper meine Entscheidung
die politische Einmischung
verstehe ich wirklich nicht

wir kämpfen
dass endlich mehr
als nur weiße Frauen gesehen werden
Intersektionalität
wir sind so viele
welche es gibt hier auf Erden
doppelte Last
das Herz trägt doppelt Sorgen
doppelte Kämpfe brauchen doppelten Halt im Morgen
doppelte Liebe
die wir ihnen müssen geben
wenn wir Freiheit für alle anstreben
so viele
die gesehen werden müssen
welche nach Freiheit streben
selbst zu entscheiden
wen oder wie zu lieben oder zu küssen

und deswegen
an alle Frauen da draußen
lasst uns reden
lasst und kämpfen
für Gerechtigkeit im außen
lasst reden
lasst uns kämpfen
für gewaltfreies Zuhause
lasst uns reden
lasst uns kämpfen
weil nur wir wirklich verstehen
mit welchen Ängsten und Einschränkungen
wir durch unseren Alltag gehen

also
lasst uns zusammenhalten
uns unsere Hände geben
und sie nicht mehr loslassen
und gemeinsam kämpfen
für ein gerechtes, sicheres Leben

-Mitsch

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Lila

*Translation into English (Original in German)

It is summer
Carefreeness fills the air
Barefoot, Lila runs across the meadow
Surrounded by colorful flowers
Wrapped in their scent
She plays tag
Her dress flutters in the wind
Climbs trees
Builds castles from sand
Dances through life without a care
She is still a child

As a child
It all seems so easy
Sometimes she plays with dolls
Sometimes soccer
Sometimes tag in a circle
Builds castles
Where princesses live with dragons
Colors outside the lines
Is more child than gender
Uses the full spectrum
Without being divided
Into pink and blue

But something
Is different now
Without warning
It runs through her body
She hears from the outside
So many judging words
Her dress
May no longer dance in the wind
For such freedom
No longer belongs to a girl
Since she is no longer a child

Legs must
Now be closed
The smile
Painted on her face like a noble clown
Be good
Be sweet
Her freedom is the price
She now has to pay

Her body
No longer hers
Taken and judged
Her hair
Now a cause for shame
Whether on her face
Arms, underarms, or legs
Suddenly, as a girl,
She must not have it
Her menstruation
Now also taboo
Though nature-given
It does not interest men
Yet again
Her shame is nurtured
Imposed from the outside
Even though it is something
Every woman experiences

Lila quickly feels
The pressure
Forcing her into a role
When she is herself
She feels constrained
Then she is too loud
Too much
Shows too much skin
And in the next moment
Too quiet
Too shy, too boring
Too angry, too masculine
Always judged from the outside
All this makes her unrecognizable

Invisible chains
Wrap around her mind
Adjusting to expectations
Becomes her main thought
She must be beautiful
But not too much
Must be desired
But never give anyone the chance for more
Her worth
Hand in hand with this
If she weakens
Her purity is revoked

Still a girl
Yet already seen as a woman
By greedy eyes she despises
Walking the streets
Men call after her
„Hey, doll,
Will there be more between us tonight?“
Her body
Constantly commented on
Lila feels guilty
Deeply frustrated
Her favorite dress
Now hangs in the closet
For being commented on constantly
Makes her sick inside

Lila becomes a woman
Her corset tightens
Everyday life restricted
By intrusive men
At work
Sexism is a daily agenda
And if she speaks of discrimination
They say
„It’s not about gender“
A woman in leadership
Still not what men want to see
„What’s wrong with women these days?“
They say
„Such obscene ideas“

Lila doesn’t understand
Why the same work
Is not paid the same
And when she complains
Men smile at her, amused

At home
Lila must take care of everything
Cleaning, shopping, planning for tomorrow
Care work
Is what women are supposed to do
Men have no time for that
They must work for their glory
Women must support their men
Mental overload
Women must endure
That this leads
To dependency and poverty
Does not interest men

And the pressure rises
Lila can hardly bear it
Like being trapped
Between guilt and shame
She just wants to breathe
Just wants to live
Wants to be free
Wants to take
Not only give
Wants to be
Wants to feel
Wants to scream
Wants to stop overthinking
Wants to break
The female corset
Wants to break out
And instead of merely reacting
To the outside world
Act as a subject
In the world once again

And Lila is like us
All of us together
Whether woman, diverse, or queer
Lila is one of many
Who feel the same
Every woman
Walks her own
Rocky path

Everyday life means
Being sexualized
Means fear for many
Oppression for some
Means enduring
As long as you can
Means
That your partner
May be your greatest danger
Means fearing
Your own man
Means femicides
Means suicides
Means
That your voice
Is stripped of power
Means your clothing
Is to blame
You just confused the man

Since 1911
We have fought in the streets
For the right to vote
For equal pay for equal work

Fighting for independence
For a bank account in our own name
We are our own people
It should be choice
That binds us to a man

We fight
To decide for ourselves
What happens to our bodies
Who touches them besides us
Whether we have children or not
My body, my choice
Political interference
I truly don’t understand

We fight
For more than just
White women to be seen
Intersectionality
So many of us
Exist on this earth
A double burden
A heart carrying double worries
Double struggles
Need double support tomorrow
Double love
We must give
If we truly seek freedom for all

So many
Need to be seen
Who strive for freedom
To decide
Who or how to love or kiss

And so
To all women out there
Let’s talk
Let’s fight
For justice in the world
Let’s talk
Let’s fight
For a home free of violence
Let’s talk
Let’s fight
Because only we truly understand
The fears and restrictions
We face in our everyday lives

So
Let’s stand together
Give each other our hands
And never let go
Let’s fight together
For a just, safe life

— Mitsch